Rückblick – Australien 2015

Das Flugzeug hoppelt etwas über die Landebahn bevor es endgültig aufsetzt. Jetzt bin also zurück in Australien und zurück in Darwin.

In der Vergangenheit habe ich hier bereits einige Zeit verbracht und ich fühle mich gerade ein wenig als ob ich nach Hause gekommen bin.

Ich stehe vor dem Flughafenterminal, an der Stelle an der ich vor drei Jahren schon einmal mein Fahrrad aus der engen Transportkiste befreit habe.

Damals, am 1. Juni 2012 bin ich zusammen mit Tommy, Nick und Jimmy von hier zur „Lifeuphoria“ Australientour aufgebrochen.

Auch diesmal werde ich den gleichen Weg aus der Stadt heraus nehmen, den „Stuart Highway“ nach Süden.

Es sind fast 3000 km bis zur Ostküste, ein Großteil davon Wüste. Das letzte Stück nach Cairns wird Regenwald sein, Ich bin gespannt.

Es geht raus auf die lange Straße Richtung Süden. Hier, wo die Stadt aufhört, beginnt das Outback. Das australische Hinterland hat seine eigenen Regeln und Gesetze.

Meine Streckenplanung ist einfach weil es hier nicht viele Straßen gibt. Erst einmal 1000 km geradeaus bis zur ersten Abzweigung. Dann nochmal 1000 km bis zur nächsten. Wenn ich mich nach den dritten 1000 km nicht verfahren habe sollte ich an der Ostküste stehen und am Great Barrier Reef.

Das Abendessen steht auf meinem kleinen Benzinkocher. Am ersten Abend gönne ich mir noch was Gutes, vorgekochte Nudeln die ich aus Darwin mitgebracht habe und die ich nur einmal kurz aufwärmen muss. Ab Morgen gibt es dann „Bami Goreng Instant Noodles“. Garantiert Nährstoffarm.

Ich drehe den Gashahn auf und eigentlich sollte ein wenig Benzin aus dem Ventil sprühen aber nichts passiert.

Warum nicht? Der Kocher ist sicherlich sauber, ich hab ihn doch im Februar erst benutzt.

Auch bei der Elbetour waren wir mit dem Kocher unterwegs, ohne Probleme. Was ist denn jetzt los? Ich will doch nur Nudeln essen.

Inzwischen ist die Sonne zu einem riesigen roten Ball geworden und fast ganz hinter den Bäumen verschwunden.

Die Schatten sind lang und ich krame in der Lenkertasche nach meiner Stirnlampe. Mein Leatherman wohnt in einer kleinen Werkzeugtasche zusammen mit einem kleinen Schraubenschlüssel und allerlei Spezialwerkzeug und Flickzeug für die Fahrradreparatur.

Die Moskitos tanzen in den letzten Sonnenstrahlen und ich spüre wie ich langsam aufgefressen werde. Wahrscheinlich sollte ich den Kocher besser im Zelt auseinandernehmen. Hier draußen wird das nichts.

Ich zippe den Reisverschluss auf und werfe das Werkzeug ins Zelt. Dann krabbel ich mit dem Kocher in der Hand durch den Eingang und ziehe den Reisverschluss wieder zu. Ich war schnell aber trotzdem sind einige Moskitos mit mir ins Zelt geflattert. Als erstes muss ich hier „aufräumen“ und nach zwei Minuten habe ich drei blutige Striemen auf der Hand. Es scheint als hätten die kleinen Biester schon Abendessen gehabt.

Los gehts. Inzwischen bin ich ein Profi beim Reinigen. Es sind nur ein paar Schrauben bis der Schlauch, der Brenner und ein paar Kleinteile ausgebreitet im Zelt liegt. Es ist dunkel geworden und die einzige Lichtquelle ist meine Stirnlampe. Die Teile sind sauber und so gut wie neu. Ich puste in den Zuleitungsschlauch, sauber.

Vielleicht hätte ich den Kocher gestern testen sollen, wenn es ein größeres Problem ist werde ich hier draußen wohl keinerlei Ersatzteile finden. Dann muss ich zurück nach Darwin. Ohne Kocher bringt es nicht so viel weiter zu fahre.

Ich schraube die Benzinflasche auf. Eigentlich sollte etwas Druck auf der Flasche sein, es sollte zischen.

Der Duft von frischem Benzin verteilt sich in meinem kleinen Zelt, was ein toller Duft. Vielleicht sollte ich es einfach offen stehen lassen und noch ein wenig schnüffeln.

Wenn kein Druck auf der Flasche ist kann es ja eigentlich nur an der Pumpe liegen. Es ist nur eine Schraube und ich habe die Pumpe in der Hand. Das habe ich noch nie gemacht aber kaputt machen kann ich wohl nichts mehr.

Der kleine Lederring sieht sehr purös aus. Ist das der Fehler? Ich suche eine kleine Tube mit Silikonpaste aus meiner Werkzeugtasche und fette das Leder ein. Im Schein der Stirnlampe schraube ich alles wieder zusammen und beginne zu pumpen.

Ich spüre keinerlei Widerstand, es ist also wohl wirklich die Pumpe. Entweder ist es irgendwo undicht oder es ist dieser Lederring.

Ich schraube nochmal alles auf und schaue mir den Ring genauer an. Er ist nach unten gewölbt, muss das so sein?

Ich löse die Schraube, nehme den Lederring ab und drehe ihn um.

Das sieht doch schon ganz gut aus. Ich setze alles zum zweiten Mal zusammen und pumpe nochmal. Juhuu, ich spüre einen Widerstand, ich glaube das wars.

Ich schraube die Pumpe wieder auf die Flasche und baue den Kocher zusammen.

Das ganze Spiel hat fast eine Stunde gedauert und so langsam knurrt mein Magen.

 

Ich öffne den Reisverschluss und krabbele durch das Fliegennetz ins Freie. Sofort werde ich von Moskitos belagert, vor Allem meine Waden scheinen sehr schmackhaft zu sein. Es sind ja auch starke Radlerwaden.

Ich pumpe noch zweimal und entzünde den Kocher. Mit einer Stichflamme kommt er zurück ins Leben. Endlich gibt es Abendessen.

Es ist die erste Nacht in meinem wunderschönen Zelt. Ich hab es sehr vermisst in letzter Zeit. Auch wenn ich es in Asien nicht gebraucht habe kann mir doch nichts so sehr das Gefühl von Schutz und Geborgenheit geben wie dieses dünne Nylongespann. Es sind meine eigenen vier Wände und es ist mein zu Hause auf der ganzen Welt. Da kann kein Hostel mithalten, kein Hotel und nein, auch kein „Warmshowers“ Gastgeber.

Australien zeigt sich zur Begrüßung von seiner schönsten Seite. Die Sterne funkeln und der Mond steht Sichelförmig am Himmel, auf dieser Seite des Äquators ist er übrigens gedreht.

Heute werde ich gut schlafen und Morgen früh geht es weiter.

Die ersten 300 km sind geschafft. Katherine ist eine der wenigen richtigen Städte auf dem Weg nach Süden.

Ich denke ich habe mir einen Tag Pause verdient. Hier ist auch der einzige Platz um meine Vorräte noch einmal aufzustocken.

Australien ist ein teures Reiseland und im Gegensatz zu den Preisen in Asien muss ich hier regelmäßig schlucken wenn ich einkaufen gehe.

Leider kann ich mich nur schlecht zurückhalten wenn ich Kekse oder Kuchen sehe und bei Donuts kann ich einfach nicht nein sagen.

Die Quelle von Mataranka ist immer wieder faszinierend. Glasklares Wasser das mit leichter Strömung einem natürlichen Flusslauf folgt. Warm, erfrischend, einzigartig. Es ist eine wahre Oase und die perfekte Abwechslung zum staubigen Stuart Highway.

2012 habe ich hier den britischen Abenteurer Sean Conway (ext. Link) kennengelernt der gerade als Teilnehmer eines Fahrradrennen rund um die Welt Australien in nur wenigen Tagen durchquert hatte. Ein witziger Kerl voller Motivation und Ideen.

Überhaupt ist die Welt gar nicht so groß wie sie auf den ersten Blick scheint.

Es passiert immer wieder dass man andere Langzeitreisende trifft. Fahrrad, Motorrad, Wohnmobil oder laufen. Es gibt Nichts was es nicht gibt.

Ebenfalls in 2012 stand plötzlich Maximilian Semsch (ext. Link) vor mir auf der Straße, gerade unterwegs auf seiner E- Bike Tour rund um Australien.

Im Moment sind viele Radfahrer unterwegs. Franzosen, Spanier, Japaner und natürlich Deutsche. Seit einigen Jahren habe ich auf meinen Touren eine Plane über den Gepäckträger und die hinteren Taschen gespannt und wenn ich andere Radler treffe dürfen sie sich mit Namen und einem kleinen Bildchen verewigen. Eine schöne Sache wie ich finde.

Tommy hatte ich ja erst vor ein paar Wochen in Kambodscha getroffen und mein kleines schwarzes Büchlein ist voll von alten Freunden die ich an der Ostküste treffen werde.

Heute bin ich 112 km gefahren. Inzwischen ist es Abend geworden und die Sonne steht jetzt nur noch knapp über dem Horizont.

Ich steige vom Rad und schlüpfe aus meinen Fahrradschuhen. Es ist ein tolles Gefühl wieder barfuß im Sand zu stehen und ich bohre meine Zehen in den roten, weichen Untergrund.

Ich sitze im „Daly Waters Pub“ und genieße eine eiskalte Cola. Wahrscheinlich die letzte für eine Weile.

Heute mache ich mich auf den Weg über den Carpentaria Highway Richtung Cairns. Als Teil des Savannah Ways verläuft diese Straße entlang der Golfküste und ist als eine der großen Abenteuerrouten Australiens bekannt.

900 km geradeaus liegt Alice Springs, die Stadt in der ich den Großteil meines ‚work and travel‘ Jahres 2009 verbracht habe. Damals bin ich als Tourguide zweimal die Woche zum Ayers Rock (Uluru) 500 km südwestlich von Alice Springs raus gefahren.

Einige Male bin ich auch schon hier vorbei gekommen aber abgebogen bin ich hier noch nie. Wie aufregend.

Die Frau hinter der Bar sieht mich etwas verunsichert an. „Wie willst du nach Cairns kommen? Mit dem Fahrrad? Du bist ja verrückt! Red Mal mit Mick, der ist den Carpentaria Highway schonmal gefahren.“

 

Mick steht neben der Zapfsäule. Er hat ölverschmierte Hände die er in seinem ohnehin schmutzigen, dunkelblauen Hemd abwischt. Auf der Brust prangt das Daly Waters Wappen.

„Der Carpentaria ist gut zu fahren. Die ersten 400 km sind asphaltiert, danach ist es Schotter für 500 km, dann wieder Asphalt bis zur Küste. Hast du Allrad?“

„Hinterradantrieb“ antworte ich mit einem Lächeln und einem Blick auf mein Rad das unter einem Baum im Schatten steht.

Mick folgt meinem Blick. „Damit? Weißt du was du da tust Junge?“

Mein „Ja“ klingt wohl sehr überzeugend denn Mick guckt etwas verdutzt und wünscht mir dann viel Spaß. „Es ist ein tolles Erlebnis. Go for it, Mate.“

„Ach, noch was“ ruft er mir hinterher. „Sag bei der Polizei in Borroloola bescheid. Wenn du es nicht schaffst kommen die dich suchen.“

So aufregend wie es heute morgen noch schien ist es gar nicht. Die Wüste hat sich auch nach der Kreuzung nicht verändert und es bleibt heiß und trocken. Ich bin nicht sicher wie weit es bis zum nächsten Wassertank ist. Auf meiner Karte sind die Rastplätze nicht eingezeichnet.

Bis jetzt ist es noch eine sehr angenehme Reise aber ich weiß ja dass die Straße nicht durchgehend asphaltiert ist. Ich kann nur hoffe dass es nicht zu schlimm wird.

Ich trage jetzt 10l Wasser in diversen Flaschen auf dem Rad. Ich hoffe das reicht, hier kann ich mich wohl kam darauf verlassen dass ich viele Wohnwagen treffe die ich nach Wasser fragen kann.

Was für eine Drecksstraße. Ich bin inzwischen seit fünf Tagen auf dem unbefestigten Teil des Savannah Ways unterwegs. Diese Wellblechpiste ist in einem mißerabelen Zustand. Es ist sandig mit vielen ausgewaschenen Abschnitten und ich habe Mühe die 10 km/h zu überschreiten.

Alle 50 km gibt es eine kleine Flussdurchquerung wo ich bis zu den Knien im Wasser stehe und sozusagen im Vorbeigehen meine Trinkflaschen wieder auffüllen kann.

 

Ich erinnere mich an die Worte des Mechanikers beim letzten Roadhouse. „Es ist ein großer Spaß.“

Vielleicht ist es das ja wirklich in einem dicken Allrad Jeep mit Klimaanlage. Diejenigen die mit viel Staub an mir vorbei sausen lächeln jedenfalls alle und winken fröhlich.

Ich kann auf nicht sehr viel anderes achten als darauf den größten Hubbeln auszuweichen.

Ich hoffe mein Material hält diese Strapazen aus, ich habe zwar einen Ersatzschlauch aber wenn mir eine Speiche bricht werde ich wohl als Anhalter nach Cairns fahren müssen.

Mein Vorderrad steckt mal wieder im Sand und ich würde es am liebsten komplett einbuddeln.

Neben mir hält ein weißer Toyota Pick-up. Immer wenn meine Motivation Richtung Nullpunkt sinkt ist auf die Grey Nomads verlass. Die „Grauen Normaden“ sind meist Rentner die mit ihren riesigen Wohnmobilen oft monatelang durch das Land fahren, immer auf der Jagt nach dem besten Klima.

Meistens, warum auch immer, fährt der Mann und die Frau ist für die Vorräte zuständig. Sie zaubert grandiose Sachen aus ihrer Kühltruhe. Obst, Sandwiches und manchmal sogar Eis.

Es sind nur kurze Pausen mit einem kalten Getränk und ein paar Informationen die meine Motivationskurve immer wieder in die Höhe schnellen lassen.

Das heutige Fazit: Die Straße wird zunehmend besser und es ist nicht mehr weit bis ich das nächste Stück Asphalt sehe.

Die Nacht kommt schnell und am nächsten Morgen kann ich meine Position auf der Landkarte nicht genau einschätzen. Ich habe nur noch 3,5l Wasser und bin irgendwo auf dem trockensten Stück dieser Tour. Jetzt würde mir ein Fluss ganz gelegen kommen, er kommt aber nicht.

Nach 30 km taucht hinter einer Kurve plötzlich die Staatsgrenze zu Queensland auf. Jetzt weiß ich zwar wo ich bin, Trinkwasser habe ich aber immer noch nicht gefunden. Den letzten Fluss hatte ich vor 170 Kilometern durchquert und dabei alle meine Flaschen aufgefüllt. Das war gestern morgen.

Laut meiner Karte sind es weitere 50 km bis zum nächsten Roadhouse, „Hell’s Gate“, das seinen Namen hier draußen sicher nicht zufällig bekommen hat.

50 km sind an normalen Tagen kein Problem aber auf einer roten Outback Straße aus Sand und Schotter kann es auch den ganzen Tag dauern.

Trotz meiner positiven Einstellung dass ich es noch rechtzeitig schaffen werde ist es ein ungutes Gefühl als ich den letzten Liter an die Lippen setzte.

Als ich 10 km vor dem rettenden Höllentor den Kopf in den Nacken lege um den letzten Tropfen Wasser einzusaugen ist es mal wieder ein Wohnwagen der neben mir hält. „Ganz schön trocken hier draußen, brauchst du vielleicht Wasser?“

Wortlos reiche ich erleichtert meine Flasche durch das geöffnete Fenster.

Plötzlich ändert sich die Landschaft drastisch und nach all dem Schmutz ist es sehr angenehm die letzten Kilometer durch ein grünes Tal zu rollen. Es sind noch 60 km bis zum Ozean durch herrlichen Regenwald.

A man steal your dog – Tunesien 2015

Es geht weiter mit dem Blick in alte Tagebücher.

2015 hatten wir eine tolle Zeit in Tunesien. Der Schreck kam am letzten Abend. 


Ich stehe vor der Internationalen Jugendherberge in Tunis. Die Altstadt besteht aus einem Gewirr aus Gängen, Tunneln und Gassen und ich habe mich heute schon mehrmals verlaufen. Morgen werde ich die Fähre zurück nach Italien nehmen und auch wenn meine Luftmatratze sehr bequem ist gönne ich mir für die letzte Nacht in Tunesien ein Bett und eine Dusche.

Einige Jugendliche sitzen auf ihren Skateboards vor dem Nachbarhaus und lachen über Fotos auf einem Handy das ein Mädchen in die Runde hält.

Den Hund habe ich vor der Tür angebunden. Er darf nicht in die Herberge und wird die Nacht alleine im Auto verbringen das ich um die Ecke geparkt habe.

Ich trete durch die schwere Holztür mit dem altertümlichen Türklopfer und sehe die meisten Gäste im großen Aufenthaltsraum. Es ist eine angeregte Unterhaltung über die furchtbaren gestrigen Ereignisse in Paris.

Durch das angelehnte Fenster höre ich ein leises Jaulen aber Vesuvio muss lernen dass ich nicht rund um die Uhr bei ihm sein kann. Ich biege nach rechts ab, gehe in die Küche und lasse mich mit einer Tasse Tee in der Hand in die Kissen eines großen Sessels fallen. Irgendwas ist anders. Stimmt, vor dem Fenster herrscht Ruhe. Das hat wohl funktioniert, sehr angenehm.

 

Durch die Tür stürmt das Mädchen das ich vor ein paar Minuten mit den anderen Jugendlichen auf der Straße gesehen habe.

Aufgeregt ruft sie etwas auf arabisch und der Ägypter neben mir springt auf.

„A man steal your dog“ schreit er und rennt los zur Eingangstür. Aus Reflex renne ich hinterher bevor ich realisiere was passiert ist. Direkt hinter mir kommt ein Argentinier, zwei Franzosen und sogar der tunesische Nachtwächter.
Auf der Straße steht ein Junge und zeigt zur nächsten Ecke.

Die Hundeleine baumelt am Wasserrohr. Drei Jungs mit Skateboards stehen schreiend an einer schmalen Straße als wir ankommen. Der Nachtwächter zieht mich am Arm, „keine Touristen,“ sagt er auf englisch. „Das regeln wir selbst.“

Er gibt ein arabisches Kommando und verschwindet mit den Jungs in der Gasse. Es vergeht eine sehr lange Minute bis er mit einem breiten Lächeln wieder zum Vorschein kommt. Im Arm hält er den kleinen Hund der sichtlich verstört ist. Einer der Jungs hält Vesuvios blaues Halsband in der Hand und präsentiert es stolz wie eine Trophäe.

„Kleine Hunde bringt viel Geld auf dem Markt,“ sagt der Nachtwächter und legt mir den zitternden Hund in den Arm. „In der Stadt musst du vorsichtig sein.“

Die Jungs überreichen mir das Halsband und weisen alle Versuche zurück sie auf eine Cola am Kiosk einzuladen. Stattdessen entschuldigen sie sich im Namen aller Tunesier und beteuern dass das Land doch eigentlich sehr sicher sei.

 

Ich hätte gerne gewusst was in dieser Gasse passiert ist, wer der Dieb war und warum ich nicht mitgehen durfte aber ich habe es nie erfahren.


Am nächsten Morgen bin ich mit der Fähre zurück nach Frankreich gefahren und Ves ist ohne Probleme zurück in die EU gereist, ohne Kontrolle, ohne Ausweis und ohne Impfung.

 

Vesuvio ist da – Rückblick Herbst 2015

Habe ich jemals erzählt wie Vesuvio zu mir gekommen ist?

Beim jährlichen aufräumen aller meiner Festplatten bin ich auf mein Reisetagebuch von 2015 gestoßen.

Damals war ich mit dem Camping Corsa auf dem Weg durch Italien.

Diesen Eintrag möchte ich euch nicht vorenthalten.

 

Rückblick:

 

Herbst 2015 – mit dem Camping Corsa unterwegs in Italien

 

In Neapel wird endlich so gefahren wie ich es von Italienern erwartet hatte. Jeder fährt wann er will, wo er will und parkt wie er will. Daran dass an den Stoppschildern und Zebrastreifen niemand anhält habe ich mich ja inzwischen gewöhnt aber hier scheinen auch die Ampeln für nichts besseres gut zu sein als buntes Licht zu machen.

Alle paar Minuten gibt es irgendwo einen Unfall was aber Niemanden aus der Ruhe zu bringen scheint. Ein Auffahrunfall ist kein Grund auszusteigen.

Endlich gehört mein Corsa mal zu den moderneren Fahrzeugen, zu den funktionstüchtigsten ohnehin, immerhin funktionieren bei mir alle Lampen was man von den meisten Verkehrsteilnehmern nicht behaupten kann. Blinker scheinen in italienische Autos gar nicht erst eingebaut worden zu sein, dafür sind aber viele Hupen in Dauerbenutzung.

Wahrscheinlich macht es Sinn dass hier die Straßenmarkierung fehlt. Die zweispurige Hauptstraße variiert ohnehin zwischen drei und vier Spuren.

Ich dachte der Verkehr in Bangkok ist chaotisch aber Neapel toppt es bei Weitem. Zwischen all den Chaoten bewegen sich tausende Mofas und Scooter über die schlechtesten Straßen die ich seit langem gesehen habe.

 

Zwei Nonnen in einem kleinen Fiat quetschen sich durch eine enge Lücke an meiner linken Seite vorbei. Durch das Fenster sehe ich die berühmte italienische Handbewegung und auch wenn Lippenlesen nicht zu meinen Stärken gehört kann sogar ich das „Madonna mio“ sehr deutlich erkennen.

 

Ich fahre raus aus der Stadt und verbringe die Nacht auf dem Besucherparkplatz von einem der noch aktiven Vulkane Europas, dem Vesuv.

Kurz nach Sonnenaufgang packe ich mein Bett zusammen. Der Parkplatz ist leer. In einer Ecke liegen ein paar zottelige Straßenhunde. Ich kümmere mich nicht weiter drum und steige über einen Zaun hinter dem Kassenhäuschen. Es ist noch kühl und ich ziehe meine Kapuze tiefer ins Gesicht. Es ist ein langer Aufstieg bis zum Kraterrand. Hinter mir höre ich leises Getapse und drehe mich um. Es ist ein kleiner Hund der mir wohl vom Parkplatz gefolgt sein muss. Er ist nur einen Meter entfernt und sieht mich an.

Es sind noch 500 Meter bis zum ersten Aussichtspunkt und der Hund tapst hinter mir her auf die hölzerne Plattform. Ich zucke zusammen, etwas hat mein Hosenbein gestreift. Die Kapuze schränkt mein Sichtfeld ein und ich muss mich bücken um meine Schuhe sehen zu können. Der kleine Hund sitzt direkt neben mir und schnuppert an meiner Jeans. Das ist mir jetzt doch etwas zu nah. Ich schiebe ihn mit dem Fuß zur Seite und mache mich auf den Weg zum nächsten Aussichtspunkt.

Er will einfach nicht weggehen. Er sieht aus wie ein kleiner Schäferhund, es wird irgendeine Straßenkötermischung sein. Das Fell ist stumpf und dreckig.

„Wir könnten wohl beide ne Dusche vertragen, was?“

 

Als ich auf dem Rückweg wieder an dem kleinen Haus vorbei komme werde ich von der Frau hinter der Kasse böse angesehen. Es ist offensichtlich dass ich keinen Eintritt bezahlt habe. Das Tor ist inzwischen offen und ich trete zurück auf den Parkplatz. Der Hund bleibt auf der anderen Seite des Zauns stehen.

Mein Corsa ist immer noch das einzige Auto auf dem Platz. Ich öffne die Fahrertür, da ist er wieder. Schnell laufen kann er wohl mit den kurzen Beinchen.

„Kommst du mit“ frage ich mit einem Lächeln. Der Hund kippt seinen Kopf zur Seite als ob er mich verstanden hätte und springt an mir vorbei auf den Beifahrersitz.

Irgendwie war das nicht so geplant. Soll ich jetzt wirklich losfahren und ihn einfach mitnehmen? Sicherlich gehört er jemandem. Ich schaue mich um. Die Straßenhunde liegen am Rand und wärmen sich an den ersten Sonnenstrahlen, die Kassenfrau guckt immernoch grimmig und ansonsten ist Niemand zu sehen.

Der kleine Kerl hat sich inzwischen eingerollt und die Augen geschlossen. Na gut, mal sehen wie er das Autofahren verträgt.

das erste Foto von Ves in Italien 2015

Ich halte an einer Tankstelle. Auf dem Weg habe ich bei einem Supermarkt Hundeshampoo gekauft, ein kleines Halsband und eine Leine. Dazu ein paar Gummihandschuhe und ein Handtuch.

An der Ecke ist ein Wasserschlauch, auch Reisehunde müssen sauber sein, jetzt wird erst mal geduscht.

Es ist einfacher als ich dachte. Nach fünf Minuten sind wir beide etwa gleich nass und der Hund wahrscheinlich sauberer als ich.

Jetzt werde ich mich mal auf die Suche nach einem Tierarzt machen. Ich will schließlich keine Flöhe im Auto haben. Wenn ich den Hund nicht behalte habe ich immerhin eine gute Tat getan.

 

 

Der Tierarzt ist zufrieden mit dem Zustand. Keine Flöhe, keine Krankheiten und nach den Zähnen zu urteilen etwa ein Jahr alt, 6,4kg schwer und mit 38cm Schulterhöhe voll ausgewachsen.

Jetzt braucht er einen Namen, „Vesuvio“, nach dem Vulkan.

Die nächsten Maßnahmen sind einige notwendige Impfungen, als erstes Tollwut. Der Hund braucht einen Chip und muss Kastriert werden aber das werde ich alles in Angriff nehmen wenn ich sicher bin dass ich ihn behalte. Vielleicht im Dezember wenn ich zurück in Deutschland bin.

 

 

Ich bin in einem großen Einkaufcenter um Vorräte zu besorgen. Vor Allem Propangas, Kekse und natürlich Hundefutter. An sowas muss ich mich wohl erstmal gewöhnen.

Mein Handy piept. WIFI Hotspot. Das kommt gerade im richtigen Moment. Mein erster Suchbegriff „Tunesien Einreise mit Hund“.

Die Antworten haben neben vielen Tipps eines gemeinsam. „Eine gültige Tollwutimpfung wird vorausgesetzt.“
Na super, das ist ein Problem. Ich wollte es ja nicht anders und dachte ich würde es mal wieder besser wissen. Was mache ich denn jetzt? Die Fähre legt morgen früh ab, das sind nicht mal mehr 12Std.

Entweder ich setze den Hund am Hafen aus und hoffe dass er noch da ist wenn ich nächste Woche zurück komme oder ich werde den Hund durch den Zoll schmuggeln müssen. Nach Afrika könnte es schwierig werden aber wenn es hart auf hart kommt habe ich ja immer noch ein paar Euro in der Tasche.
Das Versteck muss einfach so gut sein dass der Hund erst gar nicht gefunden wird.

Im Handschuhfach, dafür ist selbst Vesuvio zu groß. Im Motorraum, ich will die Schmuggelei ja nicht übertreiben. Im Kasten für das Reserverad, auch das wäre wohl übertrieben aber ich werde mir schon was einfallen lassen.

 

 

Der Moment der Wahrheit ist gekommen und der Test ob ich als Schmuggler etwas tauge.

Die Autos setzten sich in Bewegung und auch ich rolle von der Fähre und in Richtung der tunesischen Zollbeamten. Äußerlich ist nicht zu erkennen dass sich hinter dem Beifahrersitz ein blinder Passagier versteckt. Ich habe eine kleine Höhle gebastelt und, so leid es mir auch tut, den Hund an die Sitzschiene angekettet.

Mein Bettzeug liegt gut sichtbar im Kofferraum und das Auto ist aufgeräumt. Es gibt eigentlich keinen Grund mich anzuhalten und den Corsa näher zu untersuchen.
Vor mir stehen noch zwei Autos mit hochbeladenen Dachgepäckträgern. Ein weiterer Wagen steht mit geöffneten Türen an der Seite während zwei Beamte darin herumkrabbeln. Das wäre Fatal für uns.

Der Wagen vor mir fährt durch die Kontrolle, jetzt bin ich dran.

Mein Herz schlägt schnell aber ich versuche mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen. Ich steige aus, hinter dem Sitz höre ich ein leises Winseln.

„Passport“, mit leicht zitternden Fingern reiche ich meinen Reisepass durch das Fenster und um die Sache etwas zu beschleunigen schiebe ich die Fahrzeugpapiere und einige ausgefüllte Zettel hinterher.

Der Beamte begutachtet alles und schiebt die Hälfte wieder durch den kleinen Schlitz zurück.

„Urlaub?“ „Ja, sieben Tage.“

Ein schneller Blick ins Auto, dann saust der Einreisestempel auf eine freie Seite.

Für die PKW Einfuhr zahle ich 30 Dinar, umgerechnet 12 Euro und noch einmal 5 Euro weil der Schalterbeamte so schnell gearbeitet hat. Unter anderen Umständen würde ich gegen diese Gebühr protestieren aber bevor doch noch jemand auf die Idee kommt ins Auto zu schauen schiebe ich auch diesen Schein durch den Schlitz, dann ist es geschafft. Ich werde durch das große Tor gewunken und langsam entspannen sich meine Muskeln. Willkommen in Afrika.

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Inzwischen bin ich mit Ves durch über fünfzig Länder gefahren.

Er ist der beste Reisepartner den ich mir vorstellen kann. 

Ich habe noch ein paar Einträge von vergangenen Reisen. 

Frohe Weihnachten und freut euch auf den Nächsten.